„Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“, lautet ein bekanntes Zitat, das häufig dem Schriftsteller Mark Twain zugeschrieben wird. Trotz dieser Schwierigkeit, welche aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten besonders ausgeprägt ist, möchten wir Ihnen unsere Einschätzung zur aktuellen Lage und einen möglichen Ausblick für 2023 geben.
Die Auswirkungen des Russland-Ukraine-Kriegs, die immer noch sehr hohe Inflation und die damit verbundenen Leitzinserhöhungen vieler Zentralbanken bedeuten auch für die kommenden zwölf Monate erheblichen Gegenwind für die Weltwirtschaft. Doch trotz dieser schwierigen Umstände und trotz der aktuell schlechten Stimmungslage zeigte sich die Konjunktur in Europa und den USA bisher überraschend robust: In den USA verharrte die Arbeitslosenquote Mitte Dezember noch immer auf niedrigem Niveau. Die Industrieproduktion sowie die Einzelhandelsumsätze in Europa waren nach wie vor relativ stabil. In Deutschland wurde bereits für das 3. Quartal mit einer Schrumpfung der Wirtschaft gerechnet – aber sie wuchs um 0,4 %. Nach einer Prognose des ifo Instituts von Mitte Dezember soll die deutsche Wirtschaft 2023 nur um 0,1 % schrumpfen, statt wie noch im Herbst erwartet um 0,3 %. Die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen war bis Ende 2022 hoch. Und obwohl Russland kein Erdgas liefert, ist ein Gasmangel in Deutschland dank Ersatzlieferungen und Einsparungen unwahrscheinlich geworden.
Dennoch gehen wir davon aus, dass es in den für die Kapitalmärkte wesentlichen Regionen USA und Europa zu einer Rezession kommen wird, da die Realwirtschaft in der Regel mit einigen Monaten Verzögerung auf Zinserhöhungen der Notenbanken reagiert. Laut einer aktuellen Umfrage des Finanzdienstleister Bloomberg gehen 60 % der befragten Ökonomen davon aus, dass die USA innerhalb der nächsten zwölf Monate in eine Rezession rutschen werden. Für die Eurozone sind es sogar 80 % der Befragten. Die Schwere der drohenden Rezession dürfte insbesondere davon abhängen, ob und wie schnell die Inflation fallen wird. In den USA war die Inflationsrate im Oktober erstmals wieder deutlich stärker als erwartet zurückgegangen. Im November setzte sich dieser Trend fort, weshalb wir glauben, dass die Leitzinserhöhungen nun Wirkung zeigen und die Inflation in den kommenden Monaten weiter zurückgehen wird.
Wirtschafts- und Kapitalmarktexperten gehen derzeit mehrheitlich davon aus, dass die Teuerungsraten 2023 sinken, die Zentralbanken die Zinsen nicht mehr drastisch weiter erhöhen und die Rezession beherrschbar bleibt. In diesem Fall sollte sich die Weltwirtschaft im 2. Halbjahr 2023 wieder erholen und wachsen. US-Finanzministerin Janet Yellen rechnet für Ende 2023 in den USA mit einem deutlichen Rückgang der Inflation, wenn kein unerwarteter Schock eintritt. Bis die Inflation erkennbar und dauerhaft rückläufig ist, so betonen es die großen Notenbanken immer wieder, sollen die Zinsen weiter angehoben werden. Hätte die Inflation ihren Höhepunkt jedoch bereits überschritten, könnten die Zentralbanken die Zinserhöhungen früher als momentan erwartet stoppen, um ihren Fokus auf die drohende Rezession zu legen und dieser aktiv entgegenzusteuern.
Da die Unsicherheit in den ersten Monaten des Jahres weiterhin hoch sein dürfte, kann es unserer Ansicht nach zunächst noch zu Kursrückschlägen bei Aktien kommen. Dies könnte auch einschließen, dass die Talsohle an den Börsen noch nicht erreicht ist: So waren die Aktienmärkte historisch erst dann an ihrem Tiefpunkt angelangt, wenn die Leitzinsen ihr Hoch markiert hatten. Vor diesem Hintergrund setzen wir vorerst auf möglichst konjunkturunabhängige Aktientitel und halten unser Portfolio vorwiegend defensiv ausgerichtet. Dennoch: Insgesamt herrscht vorwiegend die Meinung, dass 2023 ein besseres Jahr für Aktien wird als 2022, auch wenn neue Rekordstände an den Börsen noch auf sich warten lassen dürften.