Der größten Volkswirtschaft der Welt, den USA, droht in nur wenigen Wochen ein Zahlungsausfall. Schon im Juni, spätestens zwischen Juli und September könnte es so weit sein. Bei einem Zahlungsausfall kann die Regierung ihren Verpflichtungen, wie Dienstleister zu bezahlen oder staatliche Leistungen wie Sozialhilfe auszuzahlen, nicht länger nachkommen. Der Staat wäre somit temporär zahlungsunfähig. Geraten die USA mit ausstehenden Krediten in Verzug, dürfte ihre Kreditwürdigkeit von Ratingagenturen herabgestuft werden. Viele Analysten glauben, dass ein Zahlungsausfall die Finanzmärkte und Konjunktur erschüttern würde.
Wie kann eine solche Situation überhaupt entstehen? Da die Steuereinnahmen nicht ausreichen, um alle Bundesausgaben zu decken, nimmt die US-Regierung viele Kredite auf, im Durchschnitt mehr als 7 Milliarden US-Dollar pro Arbeitstag. Weil aber die Regierung noch immer mehr ausgibt, als sie einnimmt, muss die Schuldengrenze regelmäßig angehoben werden. Das darf nur der US-Kongress beschließen. 102 Mal hatte der die Schuldenobergrenze seit Ende des Zweiten Weltkriegs bereits angehoben, geändert oder vorübergehend ausgesetzt. Im Januar 1995 lag die Schuldenobergrenze der USA sowie die Staatsverschuldung bei circa 5 Billionen US-Dollar. Im April 2023 waren die USA in Höhe von 31,5 Billionen US-Dollar verschuldet. Die Schuldenobergrenze lag bei 31,4 Billionen US-Dollar.
Warum ist es gerade so ernst? Diesmal sind die politischen Gräben besonders tief. Und die Verhandlungen ziehen sich bereits seit Monaten hin. Die Republikaner im Repräsentantenhaus knüpfen ihre Zustimmung für die Anhebung der Schuldenobergrenze an drastische Kürzungen der Bundesausgaben, etwa um einen Teil der von Präsident Biden unterzeichneten Klimagesetze rückgängig zu machen. Auch im US-Senat, wo die US-Demokraten über nur eine knappe Mehrheit verfügen, droht Widerstand.
Und die Lösung? Zum einen könnte Biden einige moderate Republikaner im Repräsentantenhaus und im Senat dazu bewegen, doch für eine Anhebung des Limits zu stimmen. Zum anderen könnte die US-Regierung einfach weiterhin Kredite aufnehmen, da sie laut US-Verfassung dazu verpflichtet ist, ihre Schulden zu begleichen. Allerdings warnen Experten, dass dies eine sofortige Verfassungsbeschwerde vor dem Obersten Gericht nach sich ziehen würde.
Wir gehen davon aus, dass auch dieses Mal die Schuldenobergrenze nach oben angepasst wird. Selbst wenn es zu Verwerfungen kommen sollte, erwarten wir, dass die jetzige Situation eher kurzfristig Einfluss haben dürfte. In den vergangenen zehn Jahren hatten die USA jede Pattsituation bei der Schuldenobergrenze rechtzeitig gelöst. Ein Zahlungsausfall wurde stets vermieden. Das haben auch die Marktteilnehmer im Lauf der Jahre verinnerlicht. Da die potenziellen Folgen eines Zahlungsausfalls verheerend wären, einschließlich der Schäden im globalen Finanzsystem und einer Rezession in den USA und möglicherweise auch in der Weltwirtschaft, hatte der Kongress die Schuldenobergrenze bislang immer angepasst. Auch wenn das Finanzministerium eine Zeit lang mit außerordentlichen Maßnahmen arbeiten musste, um die Schulden unter der gesetzlichen Grenze zu halten. Zudem: Die USA sind eines der wenigen Industrieländer, die die Höhe ihrer Kreditaufnahme immer wieder neu beschließen müssen. Der Vorgang ist mehr als ein Jahrhundert alt und stammt aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, als die Staatskosten explodiert waren.